Reportage

Volla Phone und Shift: Smartphone designed in Remscheid und Falkenberg

Ein Artikel von , veröffentlicht am 04.09.2023
Shift-Mitgründer Samuel Waldeck

Google und Apple sind solche Riesen, dass man die Alternativen leicht übersehen kann. Wir haben uns zwei innovative Smartphone-Schmieden fern von Cupertino angeschaut.

Ein eigenes Smartphone zu konstruieren, dafür braucht es keine Riesenkonzerne aus Kalifornien oder China. Wer sich davon überzeugen will, muss nur nach Falkenberg fahren. Das gehört zur hessischen Gemeinde Wabern in der Nähe von Kassel. Hier sitzt Shift – eine Familienfirma, die ein eigenes Smartphone entwickelt. Gegründet von den Brüdern Samuel und Carsten Waldeck, gemeinsam mit Vater Rolf.

Auf dem Weg vom Bahnhof ins Dorf sieht man Störche durch die Wiesen staken. Falkenberg besteht aus ein paar Fachwerkhäuschen. In einem davon wohnt der eine Waldeck-Bruder. Der andere nebenan. So viel Idylle und Tech-Unternehmen… Wie geht das zusammen?

Shift hat seit der Gründung 2012 rund 80.000 Geräte verkauft. Samsung verkaufte allein in den letzten drei Monaten 2022 fast tausendmal so viele Handys. Apple setzte in demselben Zeitraum sogar mehr als siebzig Millionen iPhones ab. Und das Quartal lief dabei noch schlecht, wenn man es mit vergangenen vergleicht.

In Zahlen geht es hier also um einen Promillevergleich. Shift hat den Riesen dafür etwas anderes voraus.

In der Shift-Werkstatt

Jedes Jahr werden ein paar hundert Millionen Smartphones ausrangiert. Die Geräte sind zwar klein. Aber sie herzustellen, verbraucht sehr viele Ressourcen. Dafür werden Handys dann viel zu kurz genutzt - nur etwa zweieinhalb Jahre bis zum nächsten. Mit abnehmender Tendenz.

Da kann Entschleunigung nicht schaden. Samuel Waldeck geht zu Fuß einmal von seinem Haus am einen Ende des Dorfs bis ans andere. Das dauert gut fünf Minuten. In einem zuletzt erst zugekauften Häuschen befindet sich die Werkstatt von Shift, direkt neben der Küche mit original 70er-Jahre Einrichtung. Drei Mitarbeiter schrauben ein Handy nach dem anderen auf und tauschen den Akku oder das Display aus. Was kaputt ist, sehen sie mit einer Software in ein paar Minuten.

Werkstattbesuch

Was sich hier abspielt ist eine Tech-Ausnahmeerscheinung: Die meisten Elektrofirmen betreiben keine eigenen Reparaturwerkstätten direkt am Firmensitz. Wer ein kaputtes Handy einschickt, bekommt meistens einfach ein neues als Ersatz. Das ist billiger. Wenn überhaupt repariert wird, dann üblicherweise von externen Dienstleistern.

Der weltgrößte Hersteller Apple hat zwar einen Roboter entwickelt, mit dem alte iPhones auseinandergebaut werden können. Aber er macht es den Menschen auch besonders schwer, ihre Handys selbst zu reparieren. Mit Kleber im Inneren, den man nur mit Hitze lösen kann. Und indem die neu eingebauten Teile per Software freigeschaltet werden müssen, damit Apple die Kontrolle hat, was ins iPhone kommt. Beim Akku kann man dafür noch eine Begründung finden: Schlechte Akkus sind brandgefährlich. Aber beim Display oder der Kamera besteht keine Gefahr.

Apple lässt, wie die meisten anderen Elektrohersteller auch, von externen Firmen produzieren. Die Fabrikmitarbeiter sind nicht bei Apple angestellt. Bei Shift ist das anders. Wer kaputte Handys repariert, hat einen direkten Draht zur Produktentwicklung oder arbeitet sogar selber daran mit.

Shift ist in der Nische zuhause. Die Geräte werden nur in Deutschland, Österreich und der Schweiz verkauft. Samuel Waldeck sagt: „Wir machen keine Werbung. Wir wollen niemanden überzeugen, etwas zu kaufen, wenn er nicht selbst darauf kommt.“ Dabei hat der studierte Mediengestalter Waldeck mal in der Werbung gearbeitet, bevor er Smartphone-Bauer wurde.

Waldeck schraubt sein Shift selbst auf.

Von außen sehen die Shift-Geräte so aus wie andere Smartphones. Im Inneren sind sie anders: Das Handy ist so gebaut, dass man es einfach aufmachen und reparieren kann. Kein Kleber, keine Teile mit Freischaltung und Geheimcode. Das Betriebssystem basiert auf Android, mit Anpassungen des Shift-Entwicklungsteams. Man kann es auch ohne Google nutzen. Und damit die Handys am Ende ihres Lebens zu Shift zurückkommen, zahlen Kund*innen immer 20 Euro Pfand. Für bessere Wiederverwertung und weniger Elektroschrott.

Klebrige Angelegenheit

Handys von Apple sind nicht nur mit Kleber zusammengepappt. Die Schrauben außen haben einen blütenförmigen Profilkopf. Der nutzt sich leichter ab. Und man findet die Schraubenzieher namens Pentalob dafür nicht überall. Bei Shift kommt der passende Schraubenzieher gleich mit, wenn man das Handy bestellt.

Auch beim Betriebssystem bietet Shift einen Vorteil für die Umwelt. Viele Handys werden nämlich deshalb nicht länger genutzt, weil schon nach nur zwei Jahren keine Sicherheits-Updates mehr kommen. Dann ist das System, hier geht es vor allem um Android, nicht mehr sicher. Apple hält bei den Updates deutlich länger durch, immerhin wird noch das acht Jahre alte iPhone 6S unterstützt. Shift verspricht seinen Kund*innen, Updates so lange wie möglich zur Verfügung zu stellen.

Es gibt aber eine Grenze des Machbaren: Für das Shift5m aus dem Jahr 2019 wird es kein Update über Android 8 hinaus mehr geben, weil Treiber fehlen. Patches für die Sicherheit – kleinere Updates also –verspricht Shift aber weiterhin. Trotzdem, bei einigen Apps wird das für die Kund*innen heißen, dass sie mit dem Shift nicht weiterkommen.

Warum ist das so kompliziert mit den Android-Updates?

Android-Updates werden von Google erstellt, wie die Bäckerei einen Kuchen macht, um in einem Bild zu sprechen. Die Hersteller von Geräten wie Shift, Samsung oder Xiaomi müssen es anpassen - den Kuchen mit einer Glasur überziehen, die ihren Kunden schmeckt. Die Anpassung erfordert Treiber der Hardwarehersteller, als wären die Zutaten der Glasur nur bei einem bestimmten Glasurladen zu bekommen. Um sagen zu können, dass es Android ist, muss man das angepasste Update von Google zertifizieren lassen. Also den Kuchen von der Bäckerei mit Glasur noch mal testen lassen. Für Android 10 kann Shift noch ältere Geräte upgraden (Kuchen glasieren), aber Google hat das Zeitfenster fürs Zertifizieren geschlossen - die Bäckerei will diese Kuchen nicht mehr testen. Nur noch die neueren.

Mehr als Mindestlohn

Für Shift arbeiten etwa vierzig Menschen in Deutschland und zehn in der Fertigung in China. Im eigenen Werk in Hangzhou bekommen die Angestellten umgerechnet ab 750 Euro Monatslohn. Mehr als das Dreifache des Mindestlohns. Es sind keine Zeitkräfte, wie sie von anderen Herstellern oft eingesetzt werden. In Deutschland zahlt Shift – das sind alles öffentliche Infos – zwischen 1700 und 3600 Euro Monatsbrutto. Dabei bekommen die Waldeck-Brüder übrigens nicht das höchste Gehalt.

„Wir mussten noch nie eine Stelle ausschreiben“, sagt Samuel Waldeck. Die Bewerbungen kämen einfach so. Erstaunlich in Zeiten, wo viele Stellen unbesetzt bleiben. Und dabei zahlt Shift auch keine Gehälter wie etwa Google oder Apple. Der Arbeitsplatz befindet sich weit weg von großen Städten.

Immerhin: Mit dem Bahnhof Wabern haben sie einen ICE-Haltepunkt der Bahn in der Nähe, einen der kleinsten der Republik. Grund für Neid für so manche Stadt mit mehr als 7.500 Einwohnenden, wie sie Wabern hat. Grund für den Luxus: Hier zweigte mal eine Strecke Richtung Westen nach NRW ab, aber das ist lange her.

Datensparer aus Remscheid

Etwa 200 Kilometer in die Richtung liegt Remscheid. Hier hat der promovierte Philosoph Jörg Wurzer das Volla Phone entwickelt. Anders als das Shift wird es auch in Deutschland gebaut – von der Firma Gigaset. Der Schwerpunkt liegt mehr auf dem Daten- als auf dem Umweltschutz. Aber immerhin: Man kann den Akku des Hauptmodells Nummer 22 ohne Werkzeug tauschen.

In der kleinen Nische für alternative Smartphones gibt es zwei Lager: Das der Datenschutzbewussten und das der Reparierfans. Zum Glück passen die beiden Ziele gut zueinander. Wem es vor allem darum geht, dass man das Handy auch ohne Google oder Apple betreiben kann, der hat bei Volla noch mehr Möglichkeiten. Das Gerät gibt es mit Ubuntu Touch – also ganz unabhängig von Google. Oder mit einem Betriebssystem, das zwar auf Android beruht, aber komplett umgebaut wurde.

Google und Apple haben so einen großen Anteil bei den Smartphone-Betriebssystemen, dass fast niemand weiß, dass es auch noch etwas anderes gibt. An dieser Stelle machen die Älteren gerne einen Witz über Windows Phone, das auch mit den Microsoft-Milliarden nicht überlebte. Aber darum geht es gar nicht. Es geht um echte Graswurzel-Ansätze.

Google ist für die Welt der Smartphones – neben Apple – kaum zu umschiffen. Es wird zwar niemand gezwungen, diese Produkte zu nutzen. Aber je mehr Dienstleistungen – auch solche der öffentlichen Hand – über Apps funktionieren, desto schwieriger ist es, ohne die großen Anbieter auszukommen. Eine schleichend wachsende Abhängigkeit. Man muss Google nicht mal komplett ablehnen, um sich deswegen zu sorgen.

Betriebssysteme wie LineageOS oder Graphene machen sich so unabhängig von Google wie es geht. Sie gehören zur selben Familie wie Android, werden aber nicht von Google betreut. Das geht, denn Android gibt es in einer Basisversion (AOSP) ohne Treiber oder Apps wie den Playstore quelloffen. Das bedeutet: Jede*r darf den Code kopieren und daraus etwas Neues machen. Um hier nicht einseitig gegen Google auszuteilen: Apple hat mit iOS ein komplett abgeschottetes System. Das Gegenteil von quelloffen.

Mit oder ohne Google?

Google bietet wie Apple eine riesige Auswahl an Apps. Wer auf Unabhängigkeit Wert legt, muss sich mit weniger zufriedengeben.

Shift hat ein System mit Google Play Store im Angebot und eins ohne. Es heißt ShiftOS Light.

Volla Phone installiert keine Google-Apps über den Play Store. Aber über Umwege wie den Aurora Store können sie trotzdem auf den Geräten laufen.

Dass Volla Phone und Shift ihr eigenes System jeweils mit einer Handvoll Entwickler*innen fit halten, gelingt nur, weil es durch Android schon die Grundlage gibt. Beeindruckend ist es trotzdem. Bloß neun Menschen arbeiten am Betriebssystem von Volla Phone – einige davon in Teilzeit. Und da hat sich Jörg Wurzer schon selbst mitgezählt.

VollaOS ist absichtlich so gestaltet, dass man nicht dauernd abgelenkt wird. Auch das extrasimple Design soll die Umwelt schützen. Weil es nicht zum ständigen Online-Sein anstiftet. „Im Vergleich zum handelsüblichen Android verursachen wir 80 Prozent weniger Datenverkehr“, sagt Wurzer. In so einem Rechenzentrum wird eine Menge Strom verbraucht. Aber das Volla Phone ist an keinen Cloud-Dienst angeschlossen.

Je weniger Daten fließen, desto weniger Strom verbraucht das Übertragungsnetz. Deshalb ist Datensparen auch Klimaschutz. Mehr dazu erfahrt ihr hier.

NO VC

Bleibt nur die Frage, warum kaum jemand außerhalb der Nische von Volla oder Shift gehört hat. Das hat auch mit Finanzierungsmodellen zu tun. „Unser Luxus ist es, ohne Venture Capital auszukommen“, sagt Wurzer. Dieses Risikokapital verlangt jungen Unternehmen extremes Wachstum ab. Denn die Idee ist: Wenn die meisten Startups pleite gehen, aber eins von zehn richtig groß wird, gibt es trotzdem noch gute Rendite. Die VCs unterstützen auch das Marketing mit sehr viel Geld und das sorgt für Sichtbarkeit. Insofern ein ambivalenter Luxus, wie Wurzer hinzufügt. Weniger Vorgaben, aber auch weniger Möglichkeiten.

Shift und Volla Phone setzen stattdessen auf Crowdfunding: Wer eines der Handys kaufen will, bestellt vor und investiert so gleichzeitig. Das ist auch ein Unterschied zum bekannteren Fairphone – das mit VC-Millionen schneller größer wurde.

„Ein Smartphone mit 5000 Euro Startkapital bauen, da hätte man doch gedacht, das ist unmöglich“, sagt Wurzer rückblickend. Und doch, da ist es! 7500 Handys Stück hat das Remscheider Unternehmen verkauft. Die 7500 ersten.

 

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Jonas Bickelmann

Leitet die Redaktion von mobilsicher. Er studierte Philosophie, machte ein Volontariat bei einer Berliner Tageszeitung und schreibt nicht nur gerne über grünere Smartphones, sondern als freier Autor auch über Reisen und Kultur.

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