Das Handy muss nur mal einen Tag kaputt sein oder verloren – und die Not ist groß. Für Menschen auf der Flucht dagegen kann ein Handy überlebenswichtig sein.
Zum Beispiel, wenn sie in unwegsamen Wäldern in Grenzregionen unterwegs sind und sich nicht orientieren können. Weil sie ihr Handy verloren haben oder es ihnen bei illegalen Pushbacks an den EU-Außengrenzen abgenommen wurde: Wer aufgegriffen wird, dem werden Berichten von NGOs zufolge oft persönliche Habseligkeiten abgenommen oder zerstört: Schuhe, Schlafsäcke – oder eben ihre Telefone. „Die Begründung ist wohl, dass man so den Kontakt mit Helfer*innen auf der Flucht verhindert, und damit die Migration bekämpft“, sagt Daniel Looser von Wir packen’s an, einem gemeinnützigen Verein aus Berlin-Brandenburg, der Geflüchtete an den EU-Außengrenzen mit Hilfsgütern versorgt.
So verhindern die Beamten, dass Geflüchtete Kontakt zu ihren Familien haben, zu Behörden und Hilfsorganisationen. Oder dass sie Menschenrechtsverletzungen dokumentieren: Wenn Menschen an der Grenze zu Tode kommen oder Gewalt erfahren.
Hilfe, wo sie gebraucht wird
So undurchlässig die EU-Außengrenze für die Geflüchteten von außen nach innen ist, so offen ist sie von innen nach außen. Es sei nicht allzu schwer, mit einem Transporter die Grenze mit Hilfsgütern zu überqueren, sagt Daniel. Wir packen’s an fährt regelmäßig mit Lkws in Grenzregionen, etwa zwischen Polen und Belarus, auf den Balkan oder nach Griechenland, um Kleidung, Hygiene- und Medizinprodukte zu Menschen in Not zu bringen. Dort gibt der Verein die Hilfsgüter an Organisationen vor Ort weiter, die direkten Kontakt zu den Geflüchteten haben und wissen, wer was am dringendsten braucht.
Dass auch Handys ausgegeben werden, ist relativ neu. „Bei Sachspenden legt man ja normalerweise zur Hose und zum Schlafsack nicht noch sein Handy dazu“, sagt Daniel. Weil die Geflüchteten diese aber oft dringender bräuchten als eine Hose, begann der Verein, Handys zu sammeln. Der Haken: Viele Spenden waren in einem Zustand, der fachkundige Hilfe erforderlich macht.
Daher war es doppeltes Glück, als Vereinsmitglieder im Frühjahr 2023 bei der Filmvorführung von „The Game“, eine Doku über Geflüchtete auf der Balkanroute, resist.berlin kennenlernten. Das ist eine kleine Gruppe Ehrenamtlicher, in deren wöchentlicher Sprechstunde es ebenso um Kaufberatung geht wie um politischen Aktivismus: resist.berlin hilft, wenn man nicht weiß, welches Telefon man kaufen soll, wie man am besten welche Apps einrichtet oder wo offizielle Ersatzteile zu finden sind.
Schutz für Aktivist*innen und Presse
Und sie haben sich auf Aktivist*innen spezialisiert, bei denen Sicherheit eine große Rolle spielt, also der Schutz sensibler Inhalte, oder die Widerstandsfähigkeit bei physischem Zugriff. Gründer Alex und das Team versuchen mit ihrer Arbeit zu verhindern, dass zum Beispiel Dokumentationen von Polizeigewalt für die Behörden abrufbar sind, wenn ein Handy mal beschlagnahmt wird. Alternative Betriebssysteme wie GrapheneOS sollen dabei in Kombination mit einem verschlüsselten Messenger größtmögliche Pressefreiheit garantieren.
Was sind alternative Betriebssysteme?
Die meisten Handys laufen mit Android oder iOS. Android wird zwar von Google entwickelt. Es steht aber zum größten Teil unter einer Lizenz, die Ableger erlaubt. Deshalb entwickeln verschiedene Freiwillige eigene Betriebssysteme. Der Fokus kann dabei auf dem Datenschutz, längeren Updates oder anderen Vorteilen liegen.Zusätzlich bereiten die Ehrenamtler von resist.berlin jetzt die Handys technisch auf, die Wir packen’s an sammelt: Mittlerweile hat der Verein in Berlin und Eberswalde zwölf präparierte Umzugskartons für Spenden aufgestellt und nimmt auch per Post Handys entgegen, die sonst auf dem Elektroschrott landen würden. Alle zwei bis drei Wochen geben sie eine Lieferung von 20 bis 30 Handys an Alex und seine drei Kollegen weiter, idealerweise mit Kabel und Netzteil.
Unter den Spenden sei aber etwa ein Viertel Ausschussware, sagt Alex. Ein Hauptproblem seien Handys, die komplett beschädigt abgegeben werden. Da lohne sich der Aufwand einfach nicht, vor allem finanziell: resist.berlin arbeitet komplett ehrenamtlich - bei Wir packen’s an gibt es ein Budget von bis zu 100 Euro im Monat etwa für Reparaturen – das reiche gerade mal für ein neues Display.
Auf die Vorbereitung kommt es an
Das zweite Hauptproblem sei, dass manche Spender*innen ihre Geräte nicht vollständig und korrekt freischalteten und auf die Werkseinstellungen zurücksetzten. Ein Android-System mit Google-Account und PIN lasse sich auch von Experten nicht einfach so resetten, sagt Alex. Bei iPhones sei es oft noch komplizierter, weil der Diebstahlschutz das Zurücksetzen verhindert. Gespendete Geräte müssten zusätzlich zu den Werkseinstellungen von der Cloud abgemeldet sein. Eine genaue und userfreundliche Beschreibung, was man beim Spenden beachten sollte, findet man auf der Webseite von Wir packen’s an.
Alex macht diesen Job, sagt er, weil er ihn machen kann. Er habe sich schon früh für Datensicherheit interessiert, ein freies Android-Betriebssystem mitentwickelt, und freut sich, dass er sein Wissen jetzt für die Geflüchteten einsetzen kann – und dank Upcycling alter Handys auch gleich für mehr Nachhaltigkeit. Jedes vor dem Elektroschrott gerettete Telefon sei ein Gewinn. Dieses Denken habe er von der Partnerorganisation gelernt: Es gehe immer darum, die Geräte im Blick zu haben, die man gerettet hat und nicht die verlorenen. „Sonst wird die Arbeit zu frustrierend.“ Geschätzte 300 bis 400 Handys hat resist.berlin bisher für Menschen auf der Flucht aufbereitet.
Maximal eine Viertelstunde plant das Team pro Handy ein, um die Smartphones fachgerecht und DSGVO-konform aufzubereiten – mehr Zeit zu investieren lohne sich einfach nicht, wenn es um Fluchtwege geht: „Wir gehen davon aus, dass vier von fünf Telefonen die Reise nicht überleben, etwa, weil sie bald wieder an einer Grenze einkassiert werden“, sagt Alex. Er schätzt die Arbeit an diesen Handys, auch weil sie sich grundlegend von der individuellen und ausführlichen Kundenberatung unterscheide: „Die gespendeten Telefone muss ich schnell aufbereiten, und dazu, ohne zu wissen, wer sie bekommt.
Unter Android 4 geht fast nichts mehr
Wenn nötig und möglich, installiert resist.berlin das gemeinnützige Open-Source-Betriebssystem GrapheneOS. Es ist speziell auf Datenschutz und Sicherheit ausgerichtet – Handys mit diesem Beriebssystem sind vor allem für Aktivist*innen interessant. Es, funktioniert allerdings nur bei Google Pixel-Geräten.
Geflüchtete haben diese Wahl meist nicht. Welche Spenden gewünscht sind? „Idealerweise geben die Leute Handys mit brauchbaren, nicht zu alten Betriebssystemen ab“, sagt Alex: WhatsApp und Facebook seien wichtig für die Menschen auf der Flucht. „Bei Android 4 zum Beispiel müssen wir kapitulieren.“ WhatsApp benötige mindestens Version 5.0, Facebook 6.0. Ähnlich bei Apple: WhatsApp brauche mindestens iOS 12.0, Facebook iOS 13.4. Damit fielen auch iPhones, die älter sind als das 6S, aus dem Raster. Aber immerhin funktionierten bei diesen in vielen Fällen noch Browser und Kartenapp.
Außerdem installiert resist.berlin den Messenger Signal und Organic Maps: Wenn der Speicherplatz reicht, kann man mit der App Karten für eine Zielregion herunterladen, und so notfalls auch offline navigieren und sich zurechtfinden. Dasselbe gilt für „Survival Manual“, eine App, die weltweit funktioniert und Tipps gibt, zu Themen vom Feuermachen bis hin zu Stromausfällen.
Da die Zahl der gespendeten Handys noch recht klein ist, müssen die Ehrenamtler Prioritäten setzen. Wichtig sei ein Handy für alle Geflüchteten, aber für die einen noch mehr als für die anderen, sagt Daniel Looser von Wir packen’s an: „Es macht wenig Sinn, 50 Geräte in ein Auffanglager mit 7000 Geflüchteten nach Lesbos zu bringen.“ Der Verein konzentriere sich bei den Handyspenden deshalb auf Menschen, die noch auf der Flucht sind, zum Beispiel in Polen im Wald umherirren. Oder die, die in Calais in Nordfrankreich versuchen, nach Großbritannien zu kommen. Dorthin ist auch die nächste LKW-Tour von Wir packen’s an geplant und Alex lädt schon einmal Karten für die Region auf die Handys. Für die Menschen, die dann vielleicht zum ersten Mal seit Monaten mit ihrer Familie sprechen können.
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