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Freie Betriebssysteme: Freiheit fürs Smartphone

Ein Artikel von , , veröffentlicht am 20.09.2020, bearbeitet am10.07.2024
Erst mit freiem Betriebssystem ist ein Smartphone wirklich kontrollierbar. Foto: iStock

Die beiden großen mobilen Betriebssysteme sind Android von Google und iOS von Apple. Daneben gibt es viele freie Projekte, die ohne ein großes Unternehmen im Rücken Software bereitstellen. Doch wie funktioniert das und was steht zur Auswahl? Unser Überblick.

Was ist ein freies Betriebssystem?

Ein Betriebssystem bildet die Grundlage, auf der alle Programme eines Computers oder Smartphones laufen. Es ist sozusagen das Rückgrat eines Geräts, das dafür sorgt, dass alle wichtigen Prozesse funktionieren.

Betriebssysteme können freie oder sogenannte proprietäre Software sein. Bei freier Open-Source-Software kann jede*r im Quellcode nachlesen, was genau die Software tut, er kann sie verwenden und weiterentwickeln. Bei proprietärer Software ist zumindest ein Teil des Codes geheim. Von außen ist es also schwer nachzuvollziehen, was das Programm im Hintergrund macht und Änderungen kann nur der Besitzer vornehmen.

Geräte, die man im Handel kauft, haben meistens ein proprietäres Betriebssystem. Bei Smartphones ist das in der Regel Android von Google oder iOS von Apple. Diese Betriebssysteme übermitteln Daten an den Hersteller, schränken die Nutzung ein und können sogenannte Hintertüren enthalten, die dem Hersteller die Kontrolle über das Gerät ermöglichen.

Grundsätzlich kann man bei Android-Geräten das vorinstallierte Betriebssystem durch ein anderes ersetzen. Im Jargon nennt man diesen Vorgang „flashen“. Dafür muss das Startprogramm von Android, der sogenannte Bootloader, verändert werden. Aus Sicherheitsgründen unterbinden die meisten Hersteller Veränderungen am Bootloader – er ist „geschlossen“. Um ein neues Betriebssystem aufzuspielen, muss er „geöffnet“ werden. Je nach Hersteller ist das ganz einfach oder sehr aufwändig.

Wer technisch versiert ist oder bereit, etwas Zeit für die Einarbeitung zu investieren, kann mit einem freien Betriebssystem die volle Kontrolle über sein Gerät gewinnen.

Freie Systeme: Android-basiert

Da die Software Android im Kern quelloffen (Open Source) ist, haben verschiedene Entwickler*innen und Communities auf Android basierende freie Betriebssysteme entwickelt.

Bedienen lassen sie sich ähnlich wie Android – ohne dass Google viele Nutzungsdaten erhält. Anwender*innen müssen beim ersten Anschalten kein Google-Konto erstellen und entscheiden selbst, welchen App-Store sie nutzen.

LineageOS – der Klassiker

LineageOS ist ein weit verbreitetes alternatives Betriebssystem. Über drei Millionen Nutzer*innen haben die veränderte Android-Version auf ihrem Handy installiert (Stand Dezember 2023). Eine ehemalige Samsung-Ingenieurin aus Seattle startete das Projekt – damals noch unter dem Name CyanogenMod.

Zwischenzeitlich sollte es kommerzialisiert werden, was aber scheiterte. Da der zugrundeliegende Code frei zugänglich war, kopierte ihn die Community und entwickelte ihn weiter – seit 2016 unter dem neuen Namen LineageOS.

Der größte Pluspunkt: Das Betriebssystem funktioniert auf sehr vielen Geräten. Die große und aktive internationale Community stellt Sicherheitsupdates bereit – auch für viele ältere Gerätemodelle, die von den Herstellern selbst nicht mehr mit Updates versorgt werden. Hier findet Ihr die Liste der Geräte, für die LineageOS zur Verfügung steht, mit Installationsanleitung.

Das Betriebssystem enthält viel freien Code, aber auch einige nicht-freie Komponenten, wie beispielsweise Gerätetreiber oder Teile der Firmware. Das ist Software, die fest mit den Bauteilen des Gerätes verbunden ist und mit der Installation von LineageOS Teil des Betriebssystems wird.

LineageOS kommt ohne vorinstallierten App-Store - du musst dir also selber einen suchen und installieren. Zum Beispiel F-Droid. Wenn du Google-Dienste nutzen willst, kannst du diese direkt nach dem Flashen installieren. Eine spätere Installation ist nicht möglich.

Seit Anfang 2024 unterstützt LineageOS auch die Open-Source-Bibliothek MicroG. Damit kannst du Google-Dienste nutzen, ohne dass viele Nutzerdaten an Google gehen. Lineage unterstützt auch die Backup-App Seedvault, die ursprünglich für CalyxOS entwickelt wurde (siehe unten).

GrapheneOS - das Sichere

2014 gründete der kanadische Sicherheitsforscher Daniel Micay das freie Betriebssystem GrapheneOS, zunächst als Ein-Mann-Projekt. Nachdem verschiedene Firmenkooperationen scheiterten, wird es nun komplett unabhängig unter dem Dach der nichtkommerziellen Graphene-Stiftung entwickelt und finanziert sich über Spenden.

GrapheneOS setzt stark auf Sicherheit und hat mit dem Whistleblower Edward Snowden einen bekannten Fürsprecher. Updates gibt es gleichzeitig mit den Google-Updates, also besonders schnell. Trotz dem Fokus auf Sicherheit bietet es für Nutzer*innen viel Komfort und ist einfach zu bedienen. Beispielsweise entwickelt GrapheneOS auch eine sichere und moderne Kamera-App.

GrapheneOS nutzt standardmäßig keine Google-Dienste, diese lassen sich jedoch einfach nachinstallieren. Der Clou dabei: Die Google-Dienste werden in eine Sandbox gesperrt und erhalten dadurch nicht den sonst üblichen weitreichenden Systemzugriff. Auf diesem Weg hat man dann auch Zugang zu den Apps aus dem Playstore. Vorinstalliert kommt bei Graphene ein eigener App-Store, über den die Graphene-Apps aktualisiert werden. Graphene unterstützt auch die Backup-App Seedvault, die ursprünglich für CalyxOS entwickelt wurde (siehe unten). Weiterhin lässt sich der App-Store F-Droid einfach installieren.

Es läuft aber nur auf Googles Pixel-Smartphones, da nur diese die hohen Sicherheitsanforderungen von GrapheneOS erfüllen. Einen Test haben die Kolleg*innen von golem.de hier.

CalyxOS – das Einsteigerfreundliche

CalyxOS will Datenschutz für seine Nutzer*innen möglichst komfortabel machen. So werden bereits bei der Einrichtung Auswahl an privatsphärefreundlichen Apps wie Signal zur Installation vorgeschlagen. Auch für oder gegen die Einrichtung eines quelloffenen Nachbaus von Google-Bibliotheken (MicroG) können sich die Nutzer*innen entscheiden. Backups lassen sich komfortabel über das von Calyx entwickelte Backuptool Seedvault einspielen und erstellen. Das Tool wurde mittlerweile auch von anderen alternativen Androids übernommen. Vorinstalliert sind ebenso die App-Stores F-Droid und Aurora.

Entwickelt wird das System vom Calyx Institute, einer Non-Profit-Organisation aus New York, die sich ganz der Privatsphäre verschrieben hat. Das Projekt finanziert sich über Calyx-Mitgliedschaften, nimmt aber auch Spenden an.

Neben den Pixel-Geräten von Google unterstützt CalyxOS auch Geräte von Motorola, Fairphone und Shiftphone. Die Geräte werden mindestens so lange wie von den Herstellern unterstützt, oft noch deutlich darüber hinaus. Einen ausführlichen Test gibt es bei Golem.de.

IodéOS – das Nachhaltige

IodéOS basiert auf dem alternativen Android LineageOS und ist auf Datenschutz und Nachhaltigkeit ausgerichtet. Als Alternative zu den Play-Diensten können Nutzer*innen einen Open-Source-Nachbau der Google-Bibliotheken (MicroG) wählen. Zudem gibt es eine Anwendung, die Datenabflüsse verhindern soll, indem sie Tracker und Werbung systemweit blockiert. Als App-Stores kommen F-Droid und Aurora Store on Board. Alle vorinstallierten Apps lassen sich deinstallieren.

Hinter dem Projekt steht eine französische Firma mit einem internationalen Entwicklerteam, das vorwiegend in Frankreich und Deutschland sitzt. Das Projekt finanziert sich durch den Verkauf vorinstallierter Geräte, sowie einer kostenpflichtigen Premium-Version ihres Betriebssystems.

IodéOS unterstützt knapp 40 Geräte von unterschiedlichen Herstellern wie Samsung, Google, Sony, Fairphone, Oneplus, Shiftphone oder Xiaomi. In einem Shop auf der Webseite lassen sich vorinstallierte Neugeräte von Fairphone und Shiftphone, sowie refurbished Smartphones von verschiedenen Herstellern erwerben - die teils jedoch schon recht alt sind.

/e/ - das Eigenwillige

Auch das Betriebssystem /e/OS basiert auf LineageOS und Android. Entwickelt hat es die e-Foundation in Paris – für durchschnittliche Nutzer*innen ohne Technikfachwissen. Die e-Foundation ist eine gemeinnützige Organisation, die von Partnerfirmen mitfinanziert wird. Bei /e/OS ersetzt die Open-Source-Bibliothek MicroG die Google-Dienste. So funktionieren beispielsweise Googles Push-Dienst oder die Google-Maps-Integration in Apps trotzdem.

Das System kommt mit einem eigenen App-Store namens App-Lounge. Die Apps aus diesem Store stammen nach eigenen Angaben aus Googles Playstore sowie dem F-Droid-Store. Man kann aber auch einfach F-Droid direkt von der Webseite installieren.

/e/OS gibt es für sehr viele, zumeist auch ältere, Geräte. Hier findet Ihr eine Liste. Der Anbieter verkauft außerdem Geräte, auf denen das System schon vorinstalliert ist. Allerdings attestieren Sicherheitsexperten dem Betriebssystem immer wieder Sicherheitsprobleme.

Android ganz ohne Google-Dienste nutzen? Das ist gar nicht so einfach. Hier erklären wir, welche versteckten Funktionen Google auf normalen Androids übernimmt und wie alternative OS diese ersetzen (oder auch nicht).

Freie Systeme: Linux-basiert

Linux ist ein bekanntes alternatives Betriebssystem für Computer. Darauf aufbauend haben Programmierer*innen Smartphone-Betriebssysteme entwickelt. Diese Betriebssysteme sind aber insgesamt eher etwas für Leute, die sich mit Linux auskennen und gerne basteln.

Ubuntu Touch

Ubuntu Touch ist die mobile Version des Linux-Betriebssystems Ubuntu für Computer. Die britische Software-Firma Canonical startete das Projekt, stellte es 2017 aber ein, um sich anderen Vorhaben zuzuwenden. Die UBports-Stiftung übernahm es als Community-Projekt. Die Stiftung wurde von dem Norweger Marius Gripsgard gegründet und ist heute in Deutschland als gemeinnützig anerkannt. Bisher gibt es für Ubuntu Touch nur wenige vollständig unterstützte Geräte und verfügbare Apps. Die UBports Foundation arbeitet zusammen mit dem Unternehmen Purism daran, Ubuntu Touch auch für das Smartphone Librem5 anzupassen (siehe unten, Punkt PureOS).

PostmarketOS

Auch PostmarketOS ist ein freies Open-Source-Projekt, das von einer Community lebt. Es basiert auf dem schlanken Alpine Linux. Das Programm ist so angelegt, dass es Computerressourcen effizient nutzt, also zum Beispiel relativ wenig Speicherplatz braucht. Das Projekt wurde 2017 gestartet und läuft auch auf alten Geräten – inzwischen auf mehr als 200 Stück. Das heißt aber nicht, dass auf jedem Gerät jede App ohne Einschränkungen funktioniert. Langfristiges Ziel ist es, die Lebensdauer von Smartphones auf zehn Jahre zu erhöhen.

PureOS

PureOS setzt als freies Betriebssystem ebenfalls auf Sicherheit und Privatsphäre. Entwickelt hat es das gemeinnützige Unternehmen Purism mit Sitz in Kalifornien, das seit 2014 Notebooks und Smartphones herstellt. Dahinter steht eine Gemeinschaft von Entwickler*innen. Mit einer Crowdfunding-Kampagne für das Smartphone Librem5 warben die Entwickler*innen von Purism mehr als 1,5 Millionen US-Dollar ein.

Eine Übersicht weiterer alternativer mobiler Systeme gibt's hier bei Wikipedia.

Vorinstallierte freie Systeme

Für alle, denen das Flashen - also das Ersetzen der vorinstallierten Software eines Smartphones - zu kompliziert oder zu heikel ist, gibt es Anbieter, die diese Aufgabe übernehmen. Sie verkaufen Geräte mit einem vorinstallierten alternativen Betriebssystem.

Ein freies Betriebssystem ab Werk bieten diese Geräte:

  • Unter dem Namen Nitrophone bietet die deutsche Firma Nitrokey mit GrapheneOS vorinstallierte Pixel-Smartphones an.
  • Das Fairphone 5 kann mit FairphoneOS oder /e/OS online bestellt werden und wird aus Frankreich verschickt.
  • Das Volla Phone gibt es seit 2020, es kommt mit dem hauseigenen VollaOS oder mit Ubuntu Touch. Entwickelt hat es das deutsche Start-Up Hallo Welt Systeme UG. Damit ist es das erste Linux-Phone, bei dem sowohl die Hardware als auch die Software aus Deutschland kommt.
  • Das Librem5 mit PureOS ist seit 2021 auf dem Markt, man kann es bei Purism bestellen.

Ein freies Betriebssystem wählen

Es gibt kein Betriebssystem, dass alle relevanten Anforderungen gleichzeitig erfüllt. Daher muss man als Nutzer*in abwägen, was einem am wichtigsten ist. Das kann das Maß der Freiheit des Systems, eine deutschsprachige Community oder ein bestimmtes Gerät sein, auf dem das Betriebssystem laufen soll.

Wirklich sicher ist ein Betriebssystem nur, wenn es regelmäßig mit Sicherheits-Updates versorgt wird. Wie oft es Updates gibt, hängt bei freien Betriebssystemen am Engagement der Entwickler*innen. Unter den Releases der Systeme kann man nachvollziehen, wie oft die Software aktualisiert wurde. Um sicherzugehen, dass es weiterhin Updates gibt, kann man bei den Communitys direkt nachfragen.

Doch auch bei Googles Android kann man sich nur eine Zeitlang auf Updates und Sicherheits-Patches verlassen. Google verspricht, die eigenen Geräte fünf bis sieben Jahre lang mit Sicherheitsupdates zu versorgen. Andere Hersteller schneiden bei Android deutlich schlechter ab.

Neulingen auf dem Feld der alternativen Betriebssysteme, die kein Smartphone mit vorinstallierter freier Software kaufen möchten, empfehlen wir GrapheneOS oder CalyxOS. Beide Systeme sind einsteigerfreundlich, relativ einfach zu installieren und bieten ein hohes Maß an Datenschutz. GrapheneOS bietet zusätzlich ein deutliches Plus in Punkto Sicherheit und Datenschutz, unterstützt aber weniger Geräte als CalyxOS.

Wem Nachhaltigkeit beziehungsweise die Verwendung von alten Geräten wichtig ist, empfehlen wir den Klassiker LineageOS. Das System läuft auf vielen Geräten und die aktive Community stellt regelmäßig Informationen und Updates bereit. Tipps zur Installation liefert der IT-Experte Mike Kuketz, im Forum seines Blogs sind viele LineageOS-Nutzer*innen zudem auf Deutsch ansprechbar.

 

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