Wer sich auf das Gelände von AfB in Sömmerda, Thüringen, begibt, muss erstmal durch eine Kontrolle. Der Mann am Empfang notiert die Seriennummer des Laptops. Wer den Gewerbepark wieder verlässt, wird stichprobenartig kontrolliert. Hier behandeln sie Laptops und Handys wie kleine Schätze. Auch, und erst recht, die gebrauchten.
Was woanders „entsorgt“ wurde, wird hier umsorgt. Eine Frau sitzt an einem der Tische und bürstet ein Smartphone ab, mit einer weichen Kinderzahnbürste. In der weiten, hellen Halle, die Arbeitsplätze von Zimmerpflanzen überschattet. Gut fünfzig Menschen arbeiten hier für die Firma. Es sind auch welche dabei, die vielerorts vielleicht nicht eingestellt würden. Weil sie besonders sind. AfB steht für „Arbeit für Menschen mit Behinderung“. Aber hier verdient niemand unter Mindestlohn. Anders als in vielen Werkstätten für Menschen mit Behinderung, wo es Ausnahmen vom Gesetz gibt.
„Die Aufgabe besteht darin, die Mitarbeiter zu befähigen, dass sie leisten können, was ihre Tätigkeit von ihnen erfordert“, sagt Standortleiter Lars Roßberg. „Vielleicht haben sie Bedarf nach einer bestimmten Beleuchtung. Oder nach einem höhenverstellbaren Tisch.“ Wer sich für eine Stelle bei AfB interessiert, kann erstmal ein Praktikum machen, um für sich selber heraus zu finden, ob sie oder er die Erwartungen erfüllen kann. Auch später ist der Wechsel in ein anderes Team mit anderen Aufgaben möglich.
New Work in der Praxis
Dass Mitarbeitende Ansprüche stellen, nicht in die Schablonen von „Humanressourcen“ passen, ist ein zentraler Punkt der New-Work-Philosophie – eine progressive Denkschule, die derzeit die Personalabteilungen aufmischt. In Sömmerda ist es ein Plus bei der Suche nach guten Leuten. Von denen Roßberg noch viele einstellen möchte.
„Wir haben aktuell eine Menge freier Arbeitstische“, sagt Roßberg und zeigt auf einen davon. „Unser Ziel ist es, die Zahl der Angestellten zu verdoppeln. Geeignete Personen zu finden, ist natürlich auch für uns eine Herausforderung.“ Im Landkreis Sömmerda, nahe Erfurt, leben knapp 70.000 Menschen. 1994 waren es noch mehr als 82.000. Der Taxifahrer am Bahnhof macht sich Sorgen, dass die Leute im Handwerk fehlen werden, in der Gastronomie, in der Pflege. Das Durchschnittsalter wird 2030 laut Statistikamt bei 49,2 liegen, ganze fünf Jahre höher als in Berlin.
Von Robotron zu iPhone
Der Taxifahrer erinnert sich auch noch gut an die Zeit vor der Wende. Sömmerda war in der DDR ein bisschen wie das Silicon Valley. Das VEB Robotron-Büromaschinenwerk „Ernst Thälmann“ stellte Computer her, der Name ist bis heute vielen ein Begriff. Das Unternehmen aber ist Geschichte. Am 5. Dezember 1991 kam in Sömmerda das Ende, 10.000 Menschen verloren ihren Job.
Ralf Hauboldt war einer von ihnen. „Es war eine Katastrophe“, sagte er der Deutschen Presseagentur. „Die Infrastruktur der Stadt war auf das Büromaschinenwerk ausgerichtet“. Hauboldt ist heute Bürgermeister von Sömmerda, 2024 wiedergewählt während seine Partei, die Linke, ums Überleben kämpft. Im einzigen Bundesland, wo sie einen Ministerpräsidenten stellt.
Nach der Wiedervereinigung siedelte sich Fujitsu dort an, wo heute AfB arbeitet. Der Großkonzern nutzt heute nur noch einen kleinen Teil des Geländes.
Alles ist reparierbar
Insgesamt wurden in 40 Jahren DDR etwa 150.000 Computer gebaut. Die Menge an alten Smartphones ist mittlerweile so groß, dass man eigentlich nie wieder welche bauen müsste. Seit zehn Jahren kommen weltweit jedes Jahr mehr als eine Milliarde der Geräte neu in die Haushalte. Auf jeden Robotron, den es je gab, kommen heute pro Jahr um die 10.000 neu gebaute Smartphones.
Die Lust am Konsum ist zu groß, die an der Erhaltung zu klein. Wer ein Handy verkauft, verdient Geld. Wer als Anbieter reparieren muss, hat dadurch Kosten. „Alles ist reparierbar. Aber die Wirtschaftlichkeit ist die Frage“, sagt Roßberg. Das hängt natürlich vom Modell ab. Für ein neueres iPhone kann man schon einmal mehr Zeit investieren. Für ältere Modelle lohnt sich unter Umständen das Aufarbeiten nicht mehr.
AfB dockt an das an, was man vorerst nicht ändern kann: Überkonsum. Innovation und Produktion werden überschätzt. Pflegen und Reparieren unterschätzt. Andere, wie die Genossenschaft Commown, über die wir hier geschrieben haben, versuchen, die Anreize zu verändern, sodass man nicht nur ans Neukaufen denkt: Sie vermietet Technik inklusive Reparatur – auch über die üblichen Garantien hinaus. Es sind solche Ansätze, die wir als Zukunftstechnologien noch unterschätzen. Sie ermöglichen eine sanftere Digitalisierung, die nicht nur dort in Großserie produziert, wo es am billigsten ist, wo der Schutz von Arbeitenden und Umwelt am schwächsten ist. Sondern eben an einem Ort wie diesem.
Kaum Verschleiß
Handys sind ein Computer im Kleinen. Die einzigen Teile, die regelmäßig verschleißen sind die Batterien. Sie werden chemisch immer schwächer. Displays gehen kaputt, wenn sie herunterfallen. Aber ansonsten ist so ein kompaktes, schokotafelförmiges Handy wie gemacht fürs Refurbishen. „Das Thema Mobilgeräte ist noch frisch“, sagt Lars Roßberg. „Das machen wir seit zwei Jahren. Wir bedienen die steigende Nachfrage nach refurbished Smartphones und Tablets, und haben so die Möglichkeit auch wieder neue Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderungen zu schaffen.“
Um die 2500 Handys und Tablets monatlich arbeiten sie hier in Sömmerda auf. Der größte Teil von ihnen wird über die eigenen Kanäle des Unternehmens wieder verkauft. Aber auch über Online-Plattformen. Das Aufarbeiten von Elektronik, sogenanntes Refurbishing, hat sich zu einer eigenen Branche entwickelt. Umfragen zeigen hohe Zufriedenheit mit den ausgebesserten Altgeräten. Trotzdem nutzen nur etwa 20 Prozent der Deutschen solche Angebote für den Elektro-Kauf. Mit Abstand das beliebteste Gerät im Second-Hand-Markt ist das Smartphone. Andere bekannte Anbieter arbeiten eher wie ein Marktplatz. Sie arbeiten die Handys nicht selbst auf, sondern das tun kleinere Werkstätten. Bei AfB hingegen passiert alles hier, in der Halle in Sömmerda.