Vertraut habe sie ihm, sagt Clara über ihren Ex-Freund Marius. Nicht für möglich gehalten, dass er ihre Nachrichten mitlesen würde oder verfolgen, wann sie wach war. Dass er ihr Smartphone aus der Ferne komplett überwachen würde.
Dass so etwas möglich ist, sagt Clara, wusste sie natürlich. Sie kennt sich mit Technik aus. Smartphones sind ausgelagerte Gehirne, sie speichern Informationen über uns, die wir selbst schon vergessen haben. Und so kam der Tag, an dem Marius sicher war, dass er Clara beim Betrügen erwischt hatte. Nachrichten, die sie mit einem Mann austauschte, meinte er, nur so auslegen zu können. Er brüllt sie an. Sie verteidigt sich. Clara sagt, dass mit dem anderen Mann nie etwas gelaufen ist – Marius habe die Nachrichten falsch ausgelegt.
Eigentlich heißen beide anders, wir haben die Namen zu ihrem Schutz verändert. Die Person, die hier Clara heißen soll, weiß, dass ihr Ex-Partner nicht will, dass sie diese Geschichte erzählt.
Die langjährige Beziehung der beiden endete damals. Clara verlässt die gemeinsame Wohnung. Aber solange sie ihr Handy noch nutzt, ist Marius trotzdem ganz nah. Er hat eine App auf dem Gerät installiert, mit der er alles sehen und hören kann, was auf dem Handy passiert. Marius zeigt ihr seine Kopien ihrer privatesten Kommunikation – ohne Scham. Selbst Bekannten berichtet er detailliert von seiner Überwachung.
Digitale Gewalt ist mehr als Hassrede
Wenn von digitaler Gewalt die Rede ist, dann denken viele an Hassrede und Mobbing in Sozialen Netzwerken. Stalking und Ausspionieren, wie es Clara erlebt hat, wird leichter übersehen. Dabei erfordert es wenig Aufwand, das Handy der Partnerin oder des Partners zur übermächtigen Wanze umzubauen.
Apps wie Mspy oder FlexiSpy sind frei für Jede*n im Internet verkäuflich. Sie müssen zwar auf dem ausspionierten Handy freigeschaltet werden. Aber in einer Beziehung ist kaum zu vermeiden, dass Partner*innen mal das entsperrte Handy in die Hand bekommen. Ist die Spionage-App erstmal installiert, läuft sie versteckt im Hintergrund mit.
Die gute Nachricht: Wenn man aktiv danach sucht, lassen sich diese Programme relativ leicht finden.
Im offiziellen Play-Store von Google sind Apps wie Mspy oder Flexispy nicht zugelassen. Aber auf Handys mit Android kann man diese Apps direkt von den Seiten der Anbieter herunterladen.
Die genannten Hersteller bieten auch Produkte für iPhones an – dort funktionieren sie aber wesentlich eingeschränkter. Bei neueren iPhones klappt die Einrichtung zudem nur, wenn man die Zugangsdaten zur iCloud der Partnerin oder des Partners hat – eine höhere Hürde.
Digitale Gewalt ist von analoger kaum zu trennen. Es ist dasselbe Problem mit spezialisierter Technik. Marius sei ein bestimmender Charakter gewesen, erinnert sich Clara. „Den Typ Mensch habe ich damals noch nicht durchschaut. Manipulieren konnte er gut, vor allem mich. Er hatte das Sagen, alles war seins.“ Ein übergriffiges Kontrollbedürfnis, für das Marius sich Werkzeuge suchte.
Entschuldigt hat er sich nie bei Clara. Sie lebt mit den Folgen, bis heute: „Dass ich generell denke, dass alles meine Schuld sei, dass ich die Fehler mache.“
Großes Dunkelfeld
Dass Mspy sein Produkt nach Außen so darstellt, als sei es bloß zum Überwachen der eigenen Kinder gedacht, ist ein Hohn. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte berichtet, dass Google den Herstellern erlaubt, für ihre Apps offen zu werben. Und zwar mit Anzeigen neben so eindeutigen Suchbegriffen wie „Partner Handy überwachen”.
Niemand weiß genau, wie oft solche Apps zum Ausspionieren in Partnerschaften genutzt werden. In der Fallgruppe Digitale Gewalt verzeichnete das BKA 2023 15.917 Fälle, die gegen Mädchen oder Frauen gerichtet waren. „Dies bedeutet einen Anstieg der Opferzahlen um 25,0 Prozent zum Vorjahr, im 5-Jahres-Vergleich haben sie sich mehr als verdoppelt.“ Die Zahlen steigen also massiv. Und diese bekannten Fälle werden der Wirklichkeit kaum gerecht. „Das Dunkelfeld ist enorm groß“, schreibt die Fachanwältin Asha Hedayati. Und nennt als Gründe: „Viele Betroffene haben kaum Ressourcen. Sie müssen nach der Trennung ihr Leben organisieren, sich vom Trauma erholen, Wohnungen finden, im Frauenhaus zurechtkommen, ihre Kinder versorgen, evtl. Jobs suchen, schlicht ÜBERLEBEN.“ Fehlendes Vertrauen in die Polizei und berechtigte Angst vor Rache des Ex-Partners kämen noch hinzu.
Nach der Trennung von Marius „wurde ich auch aus dem gemeinsamen Freundeskreis rausgekantet“, erinnert sich Clara. Sie verliert bald außerdem noch ihre Arbeit. Clara kann nicht mehr. Bei einer Feier fängt sie unkontrolliert an zu weinen, rennt nach draußen. „Es war kurz vor der Brücke“, sagt sie heute.
Was die Regierung tun will – oder wollte
Zwar wollte das Justizministerium ein Gesetz gegen digitale Gewalt beschließen. Das ist allerdings nicht passiert. Aber über die Pläne des Ministeriums wurde bereits bekannt: Digitales Stalking wird darin gar nicht vorkommen – während es Ideen zur Bekämpfung von rufschädigenden Restaurant-Bewertungen gab.
Das Familienministerium hat davon unabhängige Pläne, die einen Rechtsanspruch der Betroffenen auf Hilfe festschreiben sollen. Dringend nötig wäre es: Derzeit kommen etwa drei Hilfesuchende auf einen Frauenhausplatz. Finanziert werden die Häuser bisher freiwillig. Mit dem Bruch der Ampelkoalition steht allerdings auch dieses Gesetz vor dem Aus.
Es gibt auch jetzt schon Gesetze gegen digitales Stalking. Zum Beispiel den Paragraphen § 202 StGb. Darin steht: „Wer unbefugt sich oder einem anderen Zugang zu Daten, die nicht für ihn bestimmt und die gegen unberechtigten Zugang besonders gesichert sind, unter Überwindung der Zugangssicherung verschafft, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Nur muss die oder der Betroffene dafür erstmal nachweisen, dass er oder sie überwacht wird. Das ist gar nicht so einfach.
Clara berichtet, dass ihr damals ein Polizist zur Anzeige geraten habe. „Aber ich wollte den Stress nicht zusätzlich.“ Das Handy musste sie ersetzen. Die Polizei konnte ihr weder sagen, was für eine App auf dem Handy war, noch beim Entfernen helfen.
Seitdem sind mehrere Jahre vergangen. Clara ist wachsam geworden. Ihr Smartphone, die Wanze in der eigenen Hosentasche, versucht sie so stark zu beschränken, wie es nur geht. „Ich bin Tage damit beschäftigt, ein neues Handy richtig einzustellen“, sagt sie.
Clara lebt wieder in einer Partnerschaft. Mit einem Mann, der ihr in der dunkelsten Stunde auf der Party gefolgt war, zuhörte. Sie sagt: „Ich bin sehr vorsichtig, mich zu öffnen und jemandem anzuvertrauen.“ Aber ihr neuer Partner hat ihr Vertrauen gewonnen.
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