Reportage

E-Schrott in Ghana: Was von Agbogbloshie geblieben ist

Ein Artikel von , veröffentlicht am 19.09.2024

Agbogbloshie ist jetzt überall. Die Räumung der berüchtigten E-Schrott-Halde in Ghana hat niemandem geholfen.

Text: Gabriel Joe Amuzu, Accra, und Jonas Bickelmann, Berlin – Fotos: Gabriel Joe Amuzu

Für Ibrahim Gonja sind alte Handys vor allem eins: Arbeit, die ihn ernährt. Eine Arbeit, die mit Gefahren verbunden ist. Was alte Handys für ihn nicht sind: Abfall. Auch wenn sie in Ländern wie Deutschland als solcher behandelt werden.

Gonja arbeitet in Accra, Ghana. Den genauen Ort nennen wir zu seinem Schutz hier nicht. Durch den Dokumentarfilm „Welcome to Sodom“ bekanntgeworden, wurde der Name des zentralen Schrottplatzes Agbogbloshie zum Sinnbild der desaströsen Folgen des Elektronikkonsums: Er steht für riesige Müllberge, verseuchtes Wasser, vergiftete Menschen.

Der Name Agbogbloshie wird übrigens mit Betonung auf der letzten Silbe ausgesprochen und die Bs hört man kaum: A-gog-loshiiii.

Seit dem 1. Juli 2021 ist davon nicht mehr viel übrig. Damals kamen die Bulldozer. Im Auftrag der Regierung. Mit militärischem Schutz. Sie zerstörten den Schrottplatz mit Gewalt, „obwohl er Tausenden die Lebensgrundlage bot“, wie der Journalist Muntaka Chasant schreibt.

Ibrahim Gonja ist einer von denen, die vom E-Schrott leben. Er sieht sich vor allem als Geschäftsmann: „Ändern will ich an meiner Arbeit nichts“ sagt er. „Ich will sie aber erweitern. Weil das Geld noch nicht genug ist, um mein eigenes Unternehmen aufzubauen, bin ich auf andere angewiesen. Leute, die Kontakte haben, die verdienen mehr. Wenn ich mal genug verdient habe, um mein eigenes Business zu gründen, bin ich glücklich.“ Accra ist immer noch ein Ort, an dem er diese wichtigen Kontakte findet. Und vielleicht das Glück.

Alte Elektronik zu sammeln und zu verwerten ist ein wichtiger Sektor für Ghanas Wirtschaft. Wer sammelt, verdient bis zu 5 US-Dollar am Tag. Wer den Schrott auseinandernimmt, kann etwa das Doppelte erzielen. „Natürlich verdiene ich mit meinem Geschäft einen Überschuss“, sagt Gonja. „Wenn das nicht so wäre, würde ich es ja nicht machen.“

Handy-Welt-Wanderung

Unsere Handys sind Weltreisende, sie werden oft in Asien gebaut. Nach zwei, vielleicht auch drei oder vier Jahren, landen viele schon wieder in der Schrottsammlung. Dass sie dann manchmal in Ghana landen, hat viele Gründe.

Ausgediente Handys sind wertvoll und zugleich ein Ärgernis. In ihnen stecken Gold, Platin und Silber. Aber nur in Milligramm-Mengen. Man muss erstmal tausende Handys sammeln, um sie in den großen, spezialisierten Betrieben Europas recyceln zu können. Niemand wirft einen Metallofen an, um zwölf Handys und drei Laptops zu schmelzen.

Genug gäbe es eigentlich. Über 200 Millionen Handys liegen nutzlos in deutschen Schubladen, schätzt Bitkom. Aber wer sie abgeben will, stößt auf ein nerviges Wirrwarr aus Ausnahmen, staatlichem Wegschauen und langen Wegen zum Schrottplatz.

Die Deutschen müssten Handys sammeln

Nur die Hälfte des E-Schrotts wird deshalb hierzulande so gesammelt, wie es sein soll. Und das ist schon die optimistischste Schätzung. Anderen Zahlen zufolge ist es gerade mal ein Drittel. Ganz genau weiß es niemand hierzulande. Aber dass es nicht reicht, ist klar.

„Eine Menge Handys kommen aus Deutschland, einige kommen aus Indien und China“, sagt Ibrahim Gonja. Dass diese Exporte tatsächlich stattfinden, wollen viele Deutsche gerne ignorieren. Aber die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache.

Den besten Schätzungen zufolge exportiert die EU jährlich 1,3 Millionen Tonnen E-Schrott. Davon sind zwar 70 Prozent noch nicht komplett kaputt. Aber so alt oder beschädigt, dass sie bald bei Verwertern landen. Aus Deutschland gingen schon 2010 laut einer Studie 150.000 Tonnen nach Afrika. Diese Ware wird oft als gebraucht deklariert. Obwohl sie eigentlich nicht mehr zu gebrauchen ist. Ist es also Schrott? Ja. Aber wer will, kann sich auch das Gegenteil einreden.

Schönrechnerei und Schlupflöcher

Ein Fall von Schönrechnen und von Regeln mit zu vielen Ausnahmen. Es sei doch verboten, E-Schrott zu exportieren, murmeln die Deutschen. Das stimmt zwar, die entscheidende Ausnahme aber ist Gebrauchtware: Wenn die Geräte theoretisch funktionieren, kann man sie doch exportieren. Ob es sich um ein fünf Monate genutztes Smartphone handelt oder um eins, das aufgrund des Alters so nutzlos ist wie ein Kassettenrecorder, unterscheidet die Regel nicht.

Wer aber meint, dass Schrott aus dem Globalen Norden allein das Problem verursache, irrt. Tobias Sautter vom Öko-Institut betont, dass die Importe von gebrauchten Geräten aus dem globalen Norden tendenziell eine abnehmende Bedeutung haben. „Viele Altgeräte kommen mittlerweile neu auf den ghanaischen Markt. Sie werden direkt aus Asien importiert und von den Menschen in Ghana gekauft.“

Schon 2008 wurden etwa 170.000 Tonnen E-Schrott nach Ghana importiert. 2019 kamen von den Menschen im Land wiederum nur 52.000 Tonnen. Nahezu die gesamte Menge wurde in Ghana gesammelt und verwertet. Ghana ist also auch Vorbild. Kaum ein Handy fällt hier durch die Lücken im System, während es in Deutschland jedes zweite ist.

Warum das so ist? „Die Geräte werden dort viel häufiger repariert“, sagt Sautter. „Man geht erstmal zum Elektromann um die Ecke, der genau Bescheid weiß.“ An kaputten Geräten seien Menschen wegen der wertvollen Inhaltsstoffe wie etwa Gold auf Leiterplatten interessiert – wie bei uns die Pfandflaschensammler. „Aber nicht alles hat einen Wert, viele Kunststoffteile werden schlicht weggeworfen oder manchmal auch nachts abgefackelt, was zu hochgiftigen Dioxinemissionen führt.“

Wie die Handys in Ghana verarbeitet werden, macht die Menschen krank. „Unsicher fühle ich mich, wenn Kupfer verbrenne“, sagt Ibrahim Gonja. „Man muss dafür weit weg von anderen gehen. Wenn man anderen Menschen zu nahekommt, kann es ihnen schaden. Wer hohen Blutdruck hat, bekommt Probleme. Das sind Herausforderungen, mit denen ich umgehen muss.“ Er zeigt ein Feuer aus Drähten. Seine eigenen Füße sind nicht vor den Flammen geschützt – er trägt Flipflops.

Es ist wissenschaftlich bestätigt, dass Schwermetalle und andere gefährliche Stoffe die Wasserlebewesen in Ghana erreichen. In einer Studie der Universität Ghana wurde untersucht, wie viel Blei im Blut der Arbeiter zu finden war. Bei 19 von 20 war es zu viel. Die Symptome: Langsamere Reaktionen, Schmerzen in den Armen, Kopfschmerzen, Gedächtnisverlust. Im schlimmsten Fall kann die Bleivergiftung Menschen umbringen.

Drei Ansätze

Was Ibrahim Gonja seine Arbeit erleichtern würde? Über folgende Möglichkeiten berichtet die Beratungsfirma Adelphi.

Land. Viele der mit Schrott Arbeitenden in Ghana haben kaum Platz. Wenn man ihnen Grundstücke vereinfacht und günstig gäbe, könnten sie ihre Arbeitsplätze sicherer gestalten. Die Räumung von Agbogbloshie bewirkte das Gegenteil.

Lohn. Nur etwa zwanzig Prozent der Elektronik wird verwertet. Nämlich das, was sich lohnt, wie Kupfer oder Gold. Plastik kann man nicht teuer verkaufen. Damit es nicht in der Natur landet, wären Anreizsysteme hilfreich.

Lokale Zusammenarbeit. Um sich bei Behörden zu registrieren, sind die Prozesse oft kompliziert und schrecken Menschen ab. Wer sich registriert hat, kann sich in Vereinigungen gemeinsam für Verbesserungen einsetzen und den Staat wissen lassen, was sich ändern muss.

„Make Accra work again“

Agbogbloshie war etwa 31 Hektar groß, zweimal die Fläche des Badesees Krumme Lanke in Berlin. Aber immerhin konnte man das Problem hier eingrenzen. Die Räumung kehrte Jahre der Verbesserungen der Arbeitsbedingungen um, schreibt Muntaka Chasant. Es wurde geräumt, aber keine funktionierende Alternative für den Schrott geschaffen. Der natürlich immer noch da ist.

Und wofür? Um die hässlichen Bilder zu vermeiden, die um die Welt gingen. „Make Accra work again“, war der zugehörige Slogan des damaligen Regionalministers Henry Quartey. Die Anspielung ist nicht schwer zu überlesen. Heute ist Quartey Innenminister von Ghana.

Seine Entscheidungen betreffen Menschen, die sich nicht wehren können. Die meisten Schrott-Arbeiter sind junge Männer aus dem Norden Ghanas und Staaten wie Benin oder Togo. Auch Ibrahim Gonja ist aus einer kleineren ghanaischen Stadt nach Accra gekommen, um hier sein Geschäft aufzubauen. „Oft sind es gesellschaftliche Minderheiten, die den Schrott verwerten“, sagt Sautter. „In Ghana sind diese meist muslimisch, in Ägypten etwa sind es oft christliche Kopten.“

Ist die Sorge im globalen Norden also falsch? Wenn Schuldgefühle zu Druck und überstürzten Maßnahmen bis hin zur Gewalt führen? In einer globalisierten Wirtschaft ist es natürlich wichtig, sich die Auswirkungen unseres Wohlstands anzuschauen. Aber ebenso wichtig ist es, an funktionierenden Lösungen zu arbeiten und die Stärken des Systems in Ghana zu sehen.

Wer Handys baut, muss sich auch darum kümmern, dass sie eines Tages nicht Mensch und Umwelt schaden. Dafür gibt es die schöne englische Abkürzung EPR – die dafür steht, dass Unternehmen auch nach der Nutzung für die Produkte verantwortlich sind. Das umzusetzen, regeln Gesetze. Aber die wirken manchmal so, als hätte jemand versucht, für alles eine Regel zu finden und für nichts eine Lösung. Nur ein Beispiel: Zwar müssen Supermärkte in Deutschland E-Schrott annehmen. Sie ignorieren das Bundesgesetz aber einfach. Und die Ordnungsämter, die das kontrollieren müssten, sind Landessache. Sie haben anderes zu tun.

Übrigens: Wohin die Bulldozer den E-Schrott gebracht haben? Nirgendwohin und überall. Er sei jetzt verstreut, sagt Muntaka Chasant, in Accra oder auch der Hafenstadt Tema. Zum Beispiel dort, wo Ibrahim Gonja seine Arbeit macht.

Agbogbloshie ist jetzt überall.

 

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