Der Datensatz, den Reporter des NDR mittels einer Scheinfirma von einem Datenbroker erwarb, übertraf alle Befürchtungen: Er enthielt vollständige Browser-Verläufe, also Listen mit allen aufgerufenen Webseiten eines Tages, und das von rund drei Millionen Nutzern. Wir berichteten.
Keiner der befragten Nutzer wusste, welche Daten über ihn existieren. Wer hatte sie ausspioniert? Im Laufe der Recherche konnten wir zumindest einen Datenspion identifizieren: Die Browser-Erweiterung des Dienstes „Web of Trust“ (WOT).
Browser-Erweiterungen sind kleine Zusatzprogramme, die man direkt in den Browser einbinden kann. Auf dem Desktop gibt es sie für alle großen Browser. Auf dem Smartphone gibt es richtige Add-ons nur für den Browser Firefox.
Heiße Spur: Das Add-on WOT
Browser-Erweiterungen können sehr nützlich sein, zum Beispiel als Werbeblocker, zum Löschen von Cookies, oder um interessante Seiten in ein Archiv zu speichern. Einige davon, zum Beispiel sogenannte Toolbars, sind in der Vergangenheit aber auch immer wieder negativ aufgefallen.
Weil sie im Browser integriert sind, können sie technisch gesehen mitschneiden, welche Internetseiten ein Nutzer aufruft. Damit eignen sie sich hervorragend als kleine Spione – und gerieten immer wieder in Verdacht. Bei den Browser-Erweiterungen, die wir für Firefox empfehlen, prüfen wir daher sorgfältig, ob der jeweilige Entwickler oder Dienstanbieter namentlich bekannt ist und wie sein Geschäftsmodell funktioniert.
Viele Nutzer aus dem besagten Datensatz hatten das Add-on WOT installiert. Deshalb nahm unser Autor Mike Kuketz es genauer unter die Lupe. WOT bietet eigentlich einen Service an, der dem Nutzer dabei helfen soll, sicher zu surfen: Die Erweiterung prüft die Integrität von Webseiten. „Finden Sie sofort heraus, welchen Websites Sie vertrauen können“, lautet ein Slogan der Firma.
Wie die technische Analyse des Add-ons von mobilsicher.de zeigte, protokolliert die Erweiterung alle aufgerufenen Webseiten und übermittelt sie an einen Server im Ausland.
Um seine vorgebliche Funktion zu erfüllen, muss WOT die aufgerufenen Webadressen auch prüfen. WOT löst das aber nicht mit einer Datenbank, die lokal auf dem Nutzergerät gespeichert ist, wie es andere Dienste dieser Art tun. Stattdessen wird die Adresse jeder aufgerufenen Webseite an WOT übertragen, dort im System abgeglichen und das Ergebnis in Form einer Ampelfarbe wieder zurückgeliefert.
Mehr Daten als nötig übermittelt
Dafür müsste WOT eigentlich nur den Domainnamen übermitteln, im Falle von Facebook zum Beispiel www.facebook.com. WOT übermittelt aber die komplette Adresse, zum Beispiel www.facebook.com/profile.php?id=100011600191370 . Aus dieser Adresse lässt sich der Klarname des Nutzers ermitteln, falls er bei Facebook mit Klarnamen angemeldet ist.
Zudem übermittelt WOT auch Datum, Uhrzeit, Ort und eine eindeutige Nutzer-Kennung. All diese Daten wären nicht nötig, um den Nutzern zu liefern, was WOT verspricht. Zudem haben die Entwickler einigen Aufwand betrieben, um zu verschleiern, welche Daten übermittelt werden.
Test-Adressen tauchen im Datensatz auf
Um nachzuweisen, ob WOT diese Daten tatsächlich verkauft, machte unser Autor den Selbsttest. Auf einem frisch aufgesetzten Rechner installierte er ausschließlich das WOT-Add-on in einem ansonsten sauberen Browser.
Dann schaltete er eine ganz neue Webseite online, um eine Web-Adresse zu haben, die vorher noch nicht existierte. Diese ganz neue Internetadresse rief er nun mit seinem präparierten Browser auf.
Einige Tage später tauchte die Web-Adresse in dem Datensatz auf, den das Rechercheteam analysieren konnte – zusammen mit allen anderen Internetadressen, die unser Autor mit dem präparierten Browser aufgerufen hatte.
Damit ist klar: WOT leitet die abgegriffenen Daten an Datensammler, die sie weiter verkaufen.
WOT weist auf seiner Webseite darauf hin, dass die Erweiterung Daten wie etwa Web-Adressen sammelt und an Dritte weitergibt. Allerdings, so betont die Firma, seien diese Daten anonym. Wie gezeigt, stimmt das in diesem Fall nicht.
Nur ein Einzelfall?
Experten gehen davon aus, dass WOT nicht die einzige Erweiterung ist, sondern sich die Daten-Sammler Dutzender, wenn nicht Hunderter unterschiedlicher Browser-Add-ons bedienen.
Während Browser-Add-ons vor allem auf Laptops und Desktops eine Rolle spielen, sind es bei Smartphones vor allem Apps, die Nutzern ein Spiel, eine Taschenlampe oder eine andere kleine Funktion bieten, und sich dafür an den Daten bedienen.
Nachtrag :
Mozilla und auch Chrome hatten das WOT-Add-on nach Bekanntwerden des Datenskandals von ihren Seiten entfernt. Nachdem der Anbieter nach eigenen Angaben seine Anonymisierungstechnologie nachgebessert hat, sind die Add-ons seit Anfang 2017 wieder für beide Browser verfügbar.