Am 6. März führte Südkorea die Covid-19-Fallstatistik nach China an – mit 6.300 bestätigten Infizierten und 31 Toten galt das Land als zweiter „Hotspot“ der Epidemie. Verglichen mit dem, was wir gerade in Europa erleben, ist das eine kleine Zahl – doch die Regierung in Seoul reagierte entschlossen und schaffte es damit, die Epidemie einzudämmen.
Ein Teil der Erfolgsstrategie: Strenge Quarantäne-Regeln und penibles Nachverfolgen von Kontaktpersonen – auch mit Hilfe von Handydaten. Ein gutes Vorbild also, auch für Europa?
Nur zum Teil: Genaue Standortverläufe aus dem Handy eignen sich prinzipiell gut, um Infektionsketten nachzuvollziehen und könnten damit ausnahmsweise einmal einen wirklichen Nutzen für die Gesellschaft entfalten. Doch von Südkorea kann man neben vielen sinnvollen Maßnahmen auch lernen, was man dabei nicht tun sollte.
Hier ein genauer Blick auf die Vorgehensweise der Regierung in Seoul:
Transparenz plus: Corona-Tracking in Südkorea
Personen mit positivem Testergebnis müssen in Südkorea nicht nur ihre Aufenthaltsorte bis einen Tag vor Beginn der Symptome zu Protokoll geben. Diese Angaben werden auch mit GPS-Daten aus Handy und Auto, mit Kreditkartenbuchungen und sogar mit Informationen aus Überwachungskameras abgeglichen und ergänzt.
Das Gesundheitsministerium veröffentlicht diese Daten dann in Form von Warnhinweisen auf der eigenen Webseite und sendet sie Nutzer*innen auf Wunsch auch per Textnachricht direkt aufs Handy. Solche Warnhinweise lauten zum Beispiel:
„60-Jährige Frau aus dem Stadtteil Nowon positiv auf Coronavirus getestet. Klicken Sie auf den Link um Orte zu sehen, die sie vorher besucht hat“.
Der Link führt dann zu teils sehr genauen Ortsangaben: Benutzte Buslinien, Aus- und Einsteigestationen, besuchte Orte und Geschäfte werden veröffentlicht - und sogar, ob die Person eine Gesichtsmaske trug oder nicht. (Quellen: BBC, Guardian, NYT)
Nur in Kombination mit anderen Maßnahmen sinnvoll
Personen, die sich zur selben Zeit an diesen Orten aufgehalten haben, sollen auf diese Weise über eine mögliche Ansteckung informiert werden. Ob diese Strategie bei uns funktionieren würde, ist allerdings fraglich – denn sie greift nur, wenn jede*r, der*die aufgrund der gelieferten Informationen einen Verdacht hat, dann auch schnell getestet werden kann.
Südkorea hat genau das mit seiner riesigen Testkapazität und seiner schnellen Reaktion geschafft. Hierzulande hingegen reichen die Testkapazitäten derzeit noch nicht einmal für alle aus, die handfeste Erkältungssymptome haben. Auch sind die Infektionszahlen längst viel zu hoch, um jeden einzelnen Standortverlauf recherchieren zu können.
Ähnliches gilt auch für die Kontrolle der Quarantäne. Die Regierung in Seoul setzt dabei - wie viele andere Länder auch - auf Handydaten. Am 6. März gab sie eine App heraus, die den Standort von Personen überwacht, die in amtlicher Quarantäne sind. Bemerkenswert: Die Nutzung der App ist freiwillig – wer darauf verzichtet, wird zweimal am Tag von seiner Ansprechperson im Gesundheitsamt angerufen.
Konsequente Quarantäne ist natürlich sinnvoll. Viel wichtiger wäre es allerdings, alle Infizierten konsequent aufzuspüren. Davon sind die europäischen Länder und die USA derzeit meilenweit entfernt. Es wäre daher sicher sinnvoller, alle Ressourcen darauf zu verwenden, die Dunkelziffer an Infektionen zu verringern, anstatt mit hohem Aufwand und unter Verletzung der Privatsphäre einige Quarantäne-Brüche aufzuspüren.
Wo Missbrauch möglich ist, findet er auch statt
Die Methode der maximalen Transparenz hat in Südkorea auch heftige Nebenwirkungen gezeigt. Denn die tiefen Einblicke in das Privatleben einzelner Personen löste in sozialen Netzwerken und Medien eine toxische Mischung aus Voyeurismus und Hexenjagd aus (Quellen: BBC, Guardian, NYT).
Mögliche Seitensprünge, Besuche in Stundenhotels oder andere intime Einblicke, die sich aus den Warnmeldungen ablesen ließen, wurden öffentlich diskutiert. Medien und soziale Netzwerke lieferten sich einen regelrechten Wettbewerb darum, Personen aus den eigentlich anonymen Meldungen zu identifizieren und an die Öffentlichkeit zu zerren.
Viele Südkoreaner*innen fürchten sich inzwischen mehr vor dem öffentlichen Stigma als vor den gesundheitlichen Folgen einer Infektion, wie eine Umfrage der Seoul National University zeigt. Dies aber könnte dazu führen, dass Personen eine Infektion lieber geheim halten, als sich damit an die Behörden zu wenden.
Das Beispiel zeigt: Gerade wenn es um Standorte geht, reicht es nicht, einfach nur die Namen wegzulassen. Eine solide Methode, Standortverläufe von Infizierten zu rekonstruieren und mit anderen abzugleichen, ohne dabei deren Privatsphäre aufs Spiel zu setzen, sollte aber technisch durchaus möglich sein.